REZEPT GEGEN DIGITALE BESOFFENHEIT? DIE WICHTIGKEIT DER KUNDENBINDUNG

Die Personalisierung von Kundenerlebnissen und das Antizipieren von Aktivitäten der Kunden (predictive analytics) sowie das Etablieren von KI (Künstlicher Intelligenz) werden zu immer wichtigeren Erfolgsfaktoren bei der Marktbearbeitung im Zeitalter der digitalen Transformation. Wie genau lässt sich Kundenbindung in die heutige digitale Welt etablieren, ohne sich in einer „digitalen Besoffenheit“ wiederzufinden?

KOMMUNIKATION HAT SICH GEÄNDERT

Generationen von Kommunikationsfachleuten arbeiteten über Jahrzehnte erfolgreich mit einem Kommunikationsmix aus: Post Mailings, Verzeichnismedien (Gelbe Seiten / wer liefert was) Fachmagazinen und Messen. Hin und wieder noch eine Broschüre und gut war. Der Kommunikationsmix der Vergangenheit war überschaubar und schnell planbar. Als Unterstützung wurden dann noch ein paar VKF-Maßnahmen (Verkaufsförderungs-Maßnahmen mit Prämien) umgesetzt und wenn der Wettbewerb sich nicht allzu ambitioniert gerierte, war man „hotte“.

Und heute? Eine schier unüberschaubare Anzahl an Möglichkeiten zwingt die Firmen sich neu aufzustellen. Die Kommunikationsplanung gleicht in Zukunft eher einem Flow-Chart oder einer Explosionszeichnung und weniger einem übersichtlichen Excel-Chart.

Parallel zu den Anforderungen in der Kommunikations-Abteilung steigen auch die Anforderungen in der IT-Abteilung disproportional an. Eine Kundendatenbank entspricht häufig nicht mehr den Gegebenheiten wenn es um Leistung und Anpassbarkeit geht. Die Datenmenge pro Kunde oder Interessent hat sich mindestens verzehnfacht. Unternehmen erfassen nicht mehr nur Kunden- und Transaktionsdaten, sondern auch Bewegungsdaten – etwa das Klickverhalten auf digitalen Kanälen. Sie knüpfen all diese Informationen an den Kundendatensatz, um spätere Auswertungen und Maßnahmen gezielt darauf aufzubauen.

ONLINE-MARKETING-DSCHUNGEL – EINE UNPERSÖNLICHE LIEBESERKLÄRUNG (?)

Die Ausdifferenzierung der Kommunikationskanäle hat zu dem vorher beschriebenen Phänomen erheblich beigetragen. Zu den Kanälen, die zu Beginn des Artikels schon genannt wurden, kommen viele neue Kanäle hinzu. Im Digital-Marketing ist der virtuose Umgang mit der Suchmaschine nicht mehr Kür, sondern längst Pflicht. Und das nicht erst, seit bekannt ist, dass Firmen-Entscheider sich zu 70 % vor einer Beauftragung via Suchmaschine informieren. Die Platzierung von zielgerichtet ausgesteuerten Werbe-Bannern und das Aufsetzen von Retargeting-Lösungen folgt sofort. Die Einbindung der Social-Media-Kanäle (Facebook, Blogs, Foren), arrondiert durch Content-Marketing-Maßnahmen, ist schon lange kein Experimentierfeld mehr, sondern essentieller Bestandteil einer fein ziselierten Marketing-Strategie. Unternehmen ergänzen die klassische Endkunden-Kommunikation per Brief und E-Mail heute um Kanäle wie WhatsApp. Sie versenden ihre Botschaften zunehmend personalisiert statt im Massenversand. Statt „eine Botschaft für alle“ lautet das Motto eher: „Jedem Nutzer seine individuelle Nachricht und Angebot“.
Doch Vorsicht: Wer jedem Trend blind hinterherrennt, riskiert den Überblick – eine Form von digitaler Besoffenheit, die mehr schadet als nutzt. Nur wer klare Ziele verfolgt, kann das Potenzial der neuen Kanäle strategisch ausschöpfen.

INDIVIDUELLE ZIELGRUPPENANSPRACHE VIA KI

Chat Bots oder Bots, sind textbasierte Dialogsysteme, welche den Austausch von Informationen mit einem technischen System erlauben. Der Mensch wird durch den Computer ersetzt. Wieder ein Problem mehr in einer Wirtschaftsregion, in der viele Call- und Servicecenter Ihren Sitz haben. Bots werden, zumindest bei Standardanfragen, die Agents in den Callcentern zunehmend ersetzen. Die neue Technik macht auch vor den Verkäufern im Geschäft nicht halt, deren „Ende“ – Digital Enthusiasten zufolge – bereits eingeläutet ist. Erste KI-basierte POS / Messe-Terminal-Lösungen sind bereits in Erprobung. Beispielsweise kommen jährlich ca. 80.000 neue Bücher auf den Markt. Kennen Sie einen Menschen, der alle Titel kennt und entsprechend Auskunft und Empfehlungen über alle Titel geben kann? Der Sprachcomputer am POS kann das, wie Alexa es schon beweist. Schöne neue Welt? Vielleicht, aber die Menschlichkeit bleibt auf der Strecke.

Sobald Unternehmen Informationen speichern, müssen sie diese gezielt nutzen. Kampagnen-Manager planen und steuern Werbekampagnen mithilfe von Marketing-Automation. Tracking-Lösungen erfassen dabei den Wertbeitrag der Maßnahmen, die sie den Kunden präsentieren. Attributionssysteme stellen sicher, dass die Kanäle, die einen Anteil am Abschluss hatten, auch eine entsprechende Wertschätzung in der Betrachtung erfahren. Dashboard Systeme reduzieren die Komplexität durch das Zusammenfassen von Rohdaten in aussagekräftige multiple Diagrammformen. Wie viele Systeme und welche Granularität von Nöten ist bzw. wo die Grenze zur „digitalen Besoffenheit“ überschritten wird ist oft fließend. Fakt ist aber, wir sind mitten in der größten industriellen Revolution und haben immer noch ein Fünkchen Hoffnung, dass es letztlich nicht so schnell kommen wird.

LOYALITÄT FÄNGT BEIM PRODUKT UND DEM ANBIETER AN

Was aber, wenn der Kunde keine grundlegende Loyalität mehr zeigt? Wenn er partout nicht mehr ausschließlich bei seinem Lieblingshändler einkaufen will, sondern einen scheinbaren Irrweg, gemeinhin als Customer Journey bezeichnet, antritt und entweder beflissentlich oder unabsichtlich an Ihrem Store vorbeiläuft oder klickt? Diese untreue Kunden-Seele, die im schlimmsten Fall, die Reise durch einen Klick auf die Seite Ihrer Firma angetreten hat und das Angebot eines Wettbewerbers kauft? Horror! Schöne, aber unfaire neue Welt? Ja, vielleicht.

Endkunden Loyalität fängt beim Produkt und dem Anbieter an. Und genau da hören viele gute Unternehmen mit der Arbeit auf. Die Liste der Möglichkeiten, den Kunden darüber hinaus zu binden, ist aber ungleich größer.

Man kann den Kunden beispielsweise durch das Amazon-Prinzip binden (Komplette Lebenswelten auf den Kunden zugeschnitten mit maximalem Service, garniert mit Amazon Smile und finanziert durch intelligente Services außerhalb des E-Commerce) – Geht gut!

Und bisweilen geht es nicht immer nur um den zu bindenden Kunden. Die Gewinnung der eigenen Mitarbeiter als positiv Empfehlende kann ebenso zum Dreh- und Angelpunkt des gelungenen Empfehlungsmarketings avancieren.

Oder man setzt, wie bei DM, auf ein offenes Kundenbindungsprogramm wie PAYBACK und steigert so die Umsätze, gibt aber das eigentliche Asset, nämlich die Datenhoheit an den Dienstleister PAYBACK ab. Ich nenne das mal Etappensieg.

Insgesamt ist festzustellen, dass Kundenbindungs- und Bonusprogramme, sofern sie kanal- und medienübergreifend etabliert werden, einen großen Beitrag zur Kundenloyalität liefern können. Das Programm muss kanalübergreifend angelegt sein. Der Prämienshop muss ebenso physische wie virtuelle Produkte und Dienstleistungen enthalten. Das Programm muss neben der Umsatz- und/oder Deckungsbeitragsoptimierung auch smarte Vorteile bieten. Anwender-Videos, besondere Schulungen, Marktforschungslösungen und die Integration von Dienstleistungen, die oft in separaten Systemen offeriert werden, machen ein Programm am Ende erfolgreich.

UND DAS ENDE VOM LIED…

Zusammengefasst: Es gibt nicht die eine Strategie, die dir hilft, neue Kunden zu finden, bestehende Kunden zu binden und zu steuern. Heute kommt es vielmehr darauf an, ein Orchester aus Mitarbeitenden, externen Partnern und Systemen klug zu dirigieren – und nicht einfach nur Wissen zu verwalten.

Klarer Kurs statt digitaler Besoffenheit
Die Veränderungswucht von Markt- und Kundenseite, das teils hochprofessionelle Agieren von Wettbewerbern und neuen Playern lassen keine Atempause zu – und erst recht keine digitale Besoffenheit. Unternehmen müssen ihre Strategie offen gegenüber Mitarbeitenden und Betriebsräten kommunizieren, transparent und mutig handeln. Es gilt zu testen, zu testen und noch mal zu testen – bis das optimale Ergebnis steht. Und dann: skalieren, ohne zu zögern.

Visionen sind dabei kein Nice-to-have – sie sind notwendig. Und keine Sorge: Wer welche hat, muss nicht zum Arzt. Sondern einfach machen. Denn: Machen ist wie wollen – nur krasser.