Produktgestalter, Konstrukteure oder Ingenieure, sie alle könnten von der generativen Gestaltung enorm profitieren. Ein KI-gestützter Algorithmus erstellt dabei eine Vielzahl an Entwürfen und prüft sie dabei auf deren Leistungsfähigkeit. Mensch und Maschine arbeiten dabei Hand in Hand. Ein Modell mit Zukunft?
WAS VERSTEHT MAN UNTER „GENERATIVEN DESIGN“?
Generatives Design beschreibt einen Gestaltungsprozess, bei dem Mensch und Computer gemeinsam Objekte entwerfen, die unser menschliches Vorstellungsvermögen übersteigen. Damit verändert generatives Design nicht nur den Prozess des Gestaltens, sondern auch die Rolle des Designs fundamental. Die herkömmliche Arbeitsweise der Konstrukteure und Ingenieure besteht darin, selbst aktiv und kreativ über ein Produkt nachzudenken und den Computer als (passives) Hilfsmittel zu benutzen. Beim generativen Design aber tritt der Computer aus dem Hintergrund hervor und wird die aktive Kraft, die Tausende von Vorschlägen und Alternativen hervorbringt.
Die Aufgabe des Konstrukteurs ist lediglich, Parameter wie Werkstoffart, Gewicht, Größe, Belastbarkeit, Kosten und Herstellungsmethoden festzulegen. Der Computer erstellt durch Algorithmen und logische Kalkulationen Tausende von Entwürfen sowie die passenden Leistungsanalysen. Anschließend können erste Prototypen in Fräsmaschinen oder 3D-Druckern erzeugt werden.
Nach dem anfänglichen Hype vor rund zehn Jahren schien es, als sei die Skepsis gegenüber der „Intelligenz“ des Computers zunächst größer als die Faszination für die Entwürfe und Werke, die mittels KI-Algorithmen entstehen können. Doch dank fortschreitender Digitalisierung und mehreren Entwicklungen ist generatives Design heutzutage in vielen Bereichen kaum mehr wegzudenken.
Überall dort, wo 3D-Modelling und -Printing eine Rolle spielen, wie z.B. im Automobil- und Industriedesign oder in der Architektur, benutzen viele Unternehmen schon lange Tools, die eine sehr hohe Anzahl an Designvarianten generieren. Dadurch entsteht ein erheblich beschleunigter Design- und Entwicklungsprozess, der kürzere Modellzyklen ermöglicht und Unternehmen dabei hilft, Kosten zu senken, sowohl in der Produktion wie auch in der Anwendung bzw. im Betrieb.
So setzt z.B. der Flugzeughersteller Airbus bei der Weiterentwicklung des A320 Flugzeugs auf generatives Design und auch im Automobilbau bedienen sich Designer schon länger algorithmischer Entwurfsmethoden, um die komplexe geometrische Gestaltung zu bewältigen. Die Entwicklungszeit des Konzeptfahrzeugs bei Mercedes Benz hätte ohne die Möglichkeit der dynamischen Modellierung ein Vielfaches betragen. Und auch General Motors greift auf generatives Design zurück und entwickelte mithilfe von künstlicher Intelligenz Leichtbauteile, die in einem Pilotprojekt eingesetzt werden.
Der Flugzeughersteller Airbus verwendete generatives Design, um eine Innentrennwand für seine A320-Flugzeuge neu zu gestalten. Das Ergebnis war 45% leichter als die Vorgängerwand, wodurch massiv Treibstoff eingespart werden kann und somit die Emissionen stark reduziert werden!
IN RICHTUNG VIERTE INDUSTRIELLE REVOLUTION
Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis bei der Entwicklung jeden Fahrzeugs generatives Design angewendet wird, und sei es nur ergänzend zu traditionellen Techniken. Denn die Vorteile von generativem Design sind genauso zahlreich wie überzeugend: große Auswahl optimierter Designs, kürzere Entwurfs- und Produktionsprozesse, leichtere Komponenten, geringere Materialkosten, weniger Modellbau bzw. weniger Montage- und Schweißarbeiten (Flugzeugbau). Somit ist es wenig verwunderlich, dass immer mehr Hersteller mit KI-Algorithmen arbeiten, um ihre Produkte fit für die Zukunft zu machen.
Diese Entwicklung wird in der Wirtschaft gerne unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ beschrieben. Erstmals können Unternehmen mit Hilfe generativer Fertigungsverfahren nicht nur Prototypen herstellen, sondern auch Endprodukte in großer Stückzahl. Branchenexperten sehen in diesem Wechsel den Beginn einer weiteren industriellen Revolution.
Bei Adidas setzt man derweil auf 3D-Druck, um in der „Speedfactory“ Sportschuhe in nie gekannter Geschwindigkeit herzustellen. Mittels neuem Produktionsverfahren geht nun der Prozess von der Idee bis zur Markteinführung drei mal so schnell wie bisher. Auf diese Weise kann der Hersteller auch die gestiegene Nachfrage nach individualisierten und maßgeschneiderten Produkten bedienen. Auch andere Sportartikel-Hersteller wie z. B. Under Armour und Nike stehen mit ähnlichen Vorhaben schon in den Startlöchern. Statt die Menschen zum Kauf ihrer Produkte überreden zu wollen, können Unternehmen jetzt Produkte herstellen, die der Verbraucher wirklich haben möchte. Auch aus ökologischer Sicht ein enormer Fortschritt, da bei jedem Produkt, das in 3D-Produktionsverfahren vor Ort hergestellt wird, die teilweise weiten Transportwege wegfallen.
Vor welchen möglichen Schwierigkeiten stehen wir mit dieser Technik? Und wie kann generatives Design im heutigen Kommunikationsdesign unterstützen?
FORMFINDUNG – KLASSISCH VERSUS CODE-BASIERT
Der Designer fällt niemals ganz weg. Seine Fähigkeiten sind innerhalb des Formfindungs- und Auswahlprozesses gefragt. Fähigkeiten, die der Computer aller Voraussicht nach nicht so schnell wird übernehmen können, wie z. B. die Intuition und das ästhetische Farb- und Formempfinden. Denn wie wir alle wissen, Form follows Function. Design orientiert sich immer an den Bedürfnissen des Menschen. Deswegen wird es auch in Zukunft trotz der fortschreitenden Automatisierung Designer geben, die diese Bedürfnisse kennen und unter Berücksichtigung dieser eine Auswahl treffen können. Wie riecht ein bestimmtes Material oder wie fühlt es sich an? Wie klingt ein Verschluss, wenn man ihn öffnet und schließt? Überall dort wo Optik, Akustik und Haptik gefragt sind, braucht es weiterhin die Wahrnehmung und das Urteilsvermögen eines Menschen.
GENERATIVES DESIGN IM KOMMUNIKATIONSDESIGN
Doch welche Entwicklungen finden im Kommunikationsdesign statt? Um es vorweg zu nehmen: generatives Design hat im Kommunikationsdesign bei weitem nicht den Stellenwert, wie in den Bereichen Automobil-, Industrie- und Produktdesign. Ein Hauptgrund hierfür ist der ästhetische Aspekt, der wesentlich wichtiger ist als beispielsweise im Industriedesign, wo viele Komponenten verbaut und somit nicht direkt sichtbar sind.
Echte generative Designlösungen sind im Kommunikationsdesign rar, da in den von Kommunikationsdesignern verwendeten Standard-Programmen (Photoshop, Illustrator, Sketch, etc.) eine solche Funktionalität bislang fehlt, abgesehen von wenigen externen Plugins. So müssen Agenturen, die Projekte auf Basis eines generativen Designs realisieren möchten, sich meist noch selbst behelfen und entsprechende Tools in Eigenregie entwickeln.
Die norwegische Agentur Neue hat sich auf generative und dynamisch visuelle Identitäten spezialisiert und entwickelte für die Gemeinde Nordkyn ein Zeichen, das, eingebunden in die Website, alle 5 Minuten je nach Wetterlage vor Ort die Form verändert. So zumindest die Idee. Denn ein typisches Problem ist, dass generative Designlösungen es schwer haben, den Weg von der Idee bis zur Umsetzung zu meistern. Es fehlen oft die technischen Voraussetzungen, ein solches Design abzubilden wie zum Beispiel bei statischen Profilbildern im Social Media. Oft fehlt es auch an Mitteln oder der Konsequenz, das Projekt bis zum Ende durchzuziehen.
In den letzten Jahren sind zwar zahlreiche dynamische Logos entstanden, aber dynamisch ist nicht gleich generativ. Ein dynamisches Design entsteht auch ohne Unterstützung von KI-Algorithmen und bezieht sich auf das Endprodukt. Während ‚generativ‘ den tatsächlichen Entstehungsprozess meint, beschreibt ‚dynamisch‘ die Art und Weise, wie Logo, Farben und Gestaltungselemente kombiniert werden.
Eine der wohl bekanntesten Arbeiten im Bereich generatives Kommunikationsdesign ist das Logo für das MIT Media Lab, das über 40.000 Permutationen/Instanzen verfügt.
Ein eindrücklicher Beleg dafür, dass generatives Design in unserem alltäglichen Leben angekommen ist, ist die „Nutella Unico“ Kampagne letztes Jahr. Durch einen Algorithmus, der tausende Muster und Farben kombiniert, entstanden sieben Millionen Unikate.
Mercedes-Benz ließ für den Messestand auf der IAA 2011 eine Installation entwickeln, bei der die Bewegung von Fahrzeugen getrackt wird, sodass diese mit LEDs bestückten Wänden in Echtzeit interagiert.
GENERATIVEM DESIGN GEHÖRT DIE ZUKUNFT
Es ist extrem spannend zu sehen, was mit Hilfe von Algorithmen visuell möglich ist und welche Tools es mittlerweile gibt, die auch Designer mit wenig Programmiererfahrung nutzen können, um generatives Design entstehen zu lassen.
Doch nicht jedem gefällt ein Logo, das dynamisch seine Form verändert und nicht zu jedem passt ein Design, dass in Echtzeit mit dem Betrachter interagiert. Für einige Marken und Unternehmen ist ein statisches Erscheinungsbild oft die bessere Wahl und in den meisten Fällen ist die Intuition des Gestalters gefragt, um das beste und jeweils adäquate Mittel zu wählen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man als Designer all seine Möglichkeiten kennt.
Allen die tiefer in das Thema eintauchen möchten, empfehlen wir das Buch „Generative Gestaltung“, erschienen im Hermann Schmidt Verlag, und die dazu begleitende Website.